Delegation ärztlicher Leistungen

Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen
Eine Pflegerin im grünen Ärztekittel hält ein blaues Klemmbrett vor ihrer Brust. Sie blickt in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Arzt in einem weißen Kittel und ein weiterer Pfleger zu sehen, der einen Rollstuhl schiebt.
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Inhaltsverzeichnis

Die Delegation von ärztlichen Leistungen gehört neben Aspekten wie Pflegefehlern oder dem besonderen Datenschutz zu den wichtigsten Rechtsthemen in der Pflege, denn: Ärzte müssen besondere Sorgfalt walten lassen, wenn Tätigkeiten an nicht-ärztliches Personal delegiert werden. 

Was bedeutet die Delegation von ärztlichen Leistungen in der Praxis? Welche Leistungen eines Arztes sind delegationsfähig und welche sind es nicht? Wo liegen die Grenzen der Delegation? Wie kann ein Arzt rechtssicher handeln?

Die Antworten auf diese und weitere wichtige Rechtsfragen erhalten Sie im Folgenden

Was bedeutet “Delegation ärztlicher Leistungen”?

Ärzte müssen nicht alle Leistungen persönlich erbringen – das ist aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Sie haben in bestimmten Fällen die Möglichkeit, Aufgaben an ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu übertragen (= Delegation). Der gesetzliche Rahmen ist in § 28 Abs. 1 SGB V, im Arbeitsvertrag und in der Delegations-Vereinbarung verankert. Die Delegation von Leistungen wird als „vertikale Arbeitsteilung“ bezeichnet.

Was sind die gesetzlichen Vereinbarungen von Spitzenverband und Bundesvereinigung?

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist, seit Juli 2008, der bundesweite Verband der deutschen Krankenkassen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung stellt die Dachorganisation der insgesamt 17 kassenärztlichen Vereinigungen dar.

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben eine gesetzliche Vereinbarung getroffen. Diese gesetzliche Vereinbarung ist der “Bundesmantelvertrag“, kurz BMV.

Ziel des BMV ist die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung von Versicherten und deren mitversicherten Angehörigen. Verankert ist diese Rechtsgrundlage in § 82 Abs. 1 SGB V.

Der Begriff „vertragsärztlich“ bedeutet, das Versicherte gesetzlichen Anspruch auf ärztliche, psychotherapeutische und zahnärztliche Behandlung haben. Diese erfolgt mittels Behandlung durch approbierte Ärzte, Psychotherapeuten und Zahnärzte. Diese werden zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt bzw. zugelassen.

Gesetzliche Grundlagen:

Der Anspruch auf die vertragsärztliche Versorgung ist im Rahmen von Artikel § 28 SGB V gesetzlich verankert. Die Inhalte der vertragsärztlichen Versorgung finden sich in § 73 Abs. 2 SGB V.

Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung regeln §§ 72 bis 76 SGB V.

Die Delegations-Vereinbarung

Gemeinsam haben der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Delegations-Vereinbarung für Ärzte geschlossen. Diese wurde als Anlage 24 zum Bundesmantelvertrag (kurz „BMV“) hinzugefügt und ist im Januar 2009 in Kraft getreten.

In Anlage 24 sind die Anforderungen festgeschrieben, welche für die Delegation ärztlicher Maßnahmen an nichtärztliche Mitarbeiter der Gesundheitsberufe gelten. Die hier definierten Anforderungen gelten für Ärzte und deren Mitarbeiter als Orientierung und Maßnahme zur Qualitätssicherung.

Die Delegations-Vereinbarung regelt unter anderem

  • den Inhalt der Versorgung und die Voraussetzungen der Versorgung,
  • den Versorgungsauftrag,
  • das Genehmigungsverfahren,
  • welche Tätigkeiten delegierbar sind sowie
  • die geltenden Mindestqualifikationen für die nichtärztlichen Mitarbeiter in Gesundheitsberufen.

Persönliche Leistungserbringung von Ärzten – Anforderungen und Grenzen

Die persönliche Leistungserbringung ist ein wesentliches Merkmal des Arztberufs. Der Begriff der „persönlichen Leistungserbringung“ bedeutet nicht, dass der Arzt die Leistungen höchstpersönlich zu erbringen hat. Sie erfordert, dass ein entsprechend qualifizierter nichtärztlicher Mitarbeiter im Rahmen der Leistungserbringung in eigenverantwortlich tätig wird.

Ein Arzt ist nicht dazu berechtigt alle Leistungen am Patienten an einen nichtärztlichen Mitarbeiter eines Gesundheitsberufs zu delegieren. Die Grenzen regeln die Behandlungsverträge, die juristisch als Dienstvertrag des Arztes gelten.

Bestimmte Tätigkeiten dürfen delegiert werden, wenn die zu erbringende Leistung am Patienten nicht die Arzt-spezifischen Fachkenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt. Das hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1975 entschieden.

Ärzte haben Leistungen nach folgenden gesetzlichen Regelungen persönlich zu erbringen:

  • Nach § 613 Abs. 1 BGB muss der Arzt die Leistung im Zweifel persönlich erbringen.
  • Dasselbe gilt nach dem ärztlichen Berufsrecht (§ 19 Abs. 1 der MBO-Ä) und dem Vertragsarztrecht (§ 32 Abs. 1 Ärzte-ZV) für Wahlleistungen, die ein Arzt im Krankenhaus gesondert abrechnet (§ 17 Abs. 1 KHEntG).

Anforderungen: Wann darf ein Arzt delegieren?

Damit ein Arzt die Hilfeleistung von sogenannten „Praxisassistenten“ (= nichtärztliches Personal) in Anspruch nehmen kann, muss er diesen weisungsbefugt sein. Diese Weisungsbefugnis ist schriftlich zu dokumentieren.

Im Arbeitsvertrag des Arztes ist schriftlich fixiert, welche Tätigkeiten delegierbar sind und welche Qualifikationen das nichtärztliche Personal hierfür vorweisen muss.

Werden Aufgaben delegiert, unterliegt der Arzt den folgenden Pflichten:

  • Er muss die Art der delegierbaren Leistungen festlegen.
  • Er hat die Pflicht zur Anleitung des nichtärztlichen Personals (= Praxisassistenten).
  • Der Arzt trägt die Überwachungspflicht der durchgeführten Maßnahmen.
  • Er trägt Sorge, dass das Personal die notwendigen Qualifikationen zur Durchführung der delegierten Maßnahmen besitzt („Auswahlpflicht“).
  • Der Arzt muss persönlich erscheinen können, wenn nichtärztliche Leistungen durchgeführt werden. Ist das nicht gewährleistet, muss er kurzfristig in der Praxis oder im Krankenhaus erreichbar sein oder in kurzer Zeit eintreffen.

Grundsätzlich gilt:

Der Arzt haftet gegenüber dem Patienten für eigene Fehler sowie die des nichtärztlichen Personals. Er haftet ebenso für die Auswahl, Anleitung („Anleitungspflicht“) und Überwachung („Überwachungspflicht“) des Personals. Das ergibt sich für niedergelassene Ärzte aus dem Behandlungsvertrag sowie für angestellte Ärzte aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen.

Kommt es zu Fällen der Haftung, ist der Arzt in der Beweispflicht. Er muss belegen, dass er seine Pflichten zur korrekten Durchführung der Delegation erfüllt hat. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Dokumentation zur Auswahl und Erfüllung der Anleitungspflicht und Überwachungspflicht essentiell.

Welche Voraussetzungen gelten für Praxisassistenten?

Im medizinischen und pflegerischen Alltag werden nichtärztliche Mitarbeiter in Gesundheitsberufen einheitlich und neutral als „Praxisassistenten“ bezeichnet. Sie verfügen über Fachkenntnisse und erfüllen die Anforderungen, um ärztlich angeordnete Leistungen in Pflegeheimen zu erbringen.

Praxisassistenten unterstützen in Haus- und Facharztpraxen bei der Betreuung und Behandlung von Patienten sowie bei ambulanten Besuchen.

Der Praxisassistent benötigt eine entsprechende Aus- bzw. Fortbildung in einem Gesundheitsberuf. Deren Umfang und die Inhalte der benötigten Fachkenntnisse sind in der Delegationsvereinbarung § 7 Anlage 8 BMV-Ä geregelt.

Mitarbeiter, die eine Fortbildung bzw. Ausbildung zur

  • VerAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis)
  • MoPra (Mobile Praxisassistenten)
  • MoNi (speziell fortgebildete medizinische Fachkräfte „MFA“)

absolviert haben, dürfen als Praxisassistenten agieren.

Aufgaben von VerAH, MoPra und MoNi

VerAH sind medizinische Fachangestellte, die sich qualifiziert weitergebildet haben. Wer als medizinische Fachangestellte über den Abschluss „VerAH“ verfügt, darf – nach Anamnese und Indikationsstellung des Arztes – unter anderem

  • ambulante Hausbesuche durchführen,
  • Hilfestellung bei der Prävention und Rehabilitation leisten,
  • Injektionen verabreichen und
  • den Arzt bei Management- und Koordinationsaufgaben unterstützen.

Um als Mobile Praxisassistentin (MoPra) zu arbeiten, muss eine abgeschlossene Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten – oder ein vergleichbarer Abschluss – vorliegen.

Eine MoPra führt im Auftrag des Arztes, nach dessen Anamnese und Indikationsstellung, unter anderem

  • ambulante Hausbesuche durch,
  • beurteilt den Gesundheitszustand des Patienten oder den Krankheitsverlauf und
  • setzt den Behandlungsplan nach Indikationsstellung des Arztes (z. B. geben einer Injektion).

Als speziell fortgebildete medizinische Fachkräfte (MoNi) übernehmen die medizinischen Fachangestellten (MFA) unter anderem

  • die ambulanten Hausbesuche chronisch kranker Patienten,
  • messen Blutdruck und Blutzucker,
  • kontrollieren die Medikamenteneinnahme,
  • geben Injektionen und
  • führen Aufklärungen und Beratungen zur Prophylaxe (z. B. Aufklärung und Beratung zur Sturzprophylaxe) durch.

Welche ärztlichen Maßnahmen sind nicht delegationsfähig?

Nach der Delegations-Vereinbarung (§ 28. Abs. 1. Satz 3 SGB V) sind die folgenden Leistungen nicht delegationsfähig:

  • Durchführung der Anamnese
  • Indikationsstellung im Anschluss an die Anamnese
  • Untersuchung des Patienten
  • Invasive diagnostische Leistungen
  • Diagnostik / Diagnosestellung
  • Aufklärung und Beratung von Patienten im Hinblick auf die Entscheidung anzuwendender Therapien
  • die Durchführung invasiver Therapien
  • diagnostische Eingriffe
  • operative Eingriffe

Welche Leistungen sind grundsätzlich delegationsfähig?

Folgenden Maßnahmen sind delegationsfähig:

  • Wechsel von Kathetern
  • Blutentnahme
  • EKG
  • Audiometrische Messungen und Hörtests
  • Laborleistungen (keine Leistungen von Speziallaboren)
  • Hausbesuche
  • Vorbereitung der Anamnese
  • Durchführung von Injektion und Infusion
  • Unterstützende Maßnahmen zur Diagnostik
  • Wunderversorgung und Verbandwechsel
  • Vorbereitungen zur Durchführung von Therapien
  • Vorbereitungen zur Aufklärung von Patienten

Delegation ärztlicher Maßnahmen in der Pflege

Grundsätzlich gilt das, was hier für Ärzte beschrieben wurde, ebenso in Pflegeeinrichtungen.

Im Pflegealltag kann es vorkommen, dass der Pflegekraft die Anordnung des Arztes problematisch vorkommt.

Beispiel:

Der Hausarzt nimmt keine Untersuchung eines Pflegebedürftigen vor, sondern führt eine Diagnosestellung (Diagnostik) am Telefon durch. Anschließend gibt er der betreuenden Pflegekraft seine Anordnungen durch. Im Rahmen des Telefonats kommt der Pflegekraft die Entscheidung einer oralen Therapie problematisch vor. Zum Beispiel, weil der Pflegebedürftige Tabletten schlecht einnehmen kann.

Welche Möglichkeiten hat die Pflegekraft um auf die Entscheidung des Arztes – die ohne persönliche Anamnese getroffen wurde – zu reagieren?

Der Bundesgerichtshof hat eindeutig die Entscheidung getroffen: „Wer eine Behandlung übernimmt ist dafür verantwortlich, dass der Behandlungsstandard gewährleistet ist, auf den der Patient Anspruch hat.

Dieser Anspruch meint:

  • Den Anspruch auf fachqualifizierte Betreuung (Fachkenntnisse müssen zwingend vorhanden sein).
  • Der Facharztstandard ist der Maßstab für das sorgfaltspflichtige Vorgehen des Arztes.
  • Die verkehrsübliche Sorgfalt/Qualitätsstandards der jeweiligen Berufsgruppe.

Die Herausforderung: Es gibt einen gesetzlichen Rahmen, Vorschriften und Rechtsnormen – allerdings keine konkrete Definition der Grenzen der Delegierbarkeit ärztlicher Leistungen. Die Grenzziehung, welche Aufgaben delegierbar sind, erfolgt in erster Linie durch die jeweiligen Fachgebiete an sich.

Was sind die Voraussetzungen für die Übernahme einer ärztlichen Tätigkeit?

Juristen haben – um über eine handlungsleitende Linie verfügen zu können – folgende Voraussetzungen für die Delegation bzw. Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten definiert (Rossbruch, 2003):

  • Für die Durchführung ist ärztliches Handeln nicht erforderlich.
  • Eine schriftliche Anordnung durch einen Arzt liegt vor.
  • Der Patient hat der Maßnahme zugestimmt, nachdem er umfassend über Wirkung, Nebenwirkung und Alternativen durch einen Arzt aufgeklärt wurde.
  • Die Pflegefachkraft ist formell und materiell qualifiziert und zur Übernahme der Tätigkeit bereit.

Rechtssicher handeln in drei Schritten

Schritt 1: Liegen die Voraussetzungen für die Übernahme einer ärztlichen Tätigkeit vor?

Für die Tätigkeit eine Tablette zu verabreichen, ist ärztliches Handeln nicht direkt erforderlich. Eine Anordnung darüber liegt der Pflegekraft in mündlicher Form vor. Dies wird in der Pflegedokumentation entsprechend vermerkt.

Dem Arzt sollte ein Schreiben (z. B. Fax) übersendet werden mit der Bitte, die getroffene Anordnung zu unterschreiben.

Die Zustimmung des Pflegebedürftigen wird eingeholt, indem ihm die Tablette gebracht und die Hintergründe im Hinblick auf diese medizinische Maßnahme erläutert werden.

Die Pflegekraft muss ausreichend qualifiziert sein, um die Tablette verabreichen zu dürfen.

Schritt 2: Die persönliche Verantwortung prüfen

Wenn der Arzt seine Anordnung an eine Pflegekraft delegiert und diese direkt ausgeführt wird, liegt juristisch ein Fall der unmittelbaren Delegation vor. 

In solchen Fällen trägt der Arzt die Anordnungsverantwortung und die Pflegekraft die Durchführungsverantwortung. Das bedeutet für den Arzt: Er muss die Auswahl, Anleitung („Anleitungspflicht“) und Überwachung („Überwachungspflicht“) der Pflegekraft prüfen und verantworten. Die persönliche Durchführungsverantwortung der Pflegekraft erstreckt sich dann ausschließlich auf die tatsächliche Durchführung.

Schritt 3: Prüfen, ob das Remonstrationsrecht greift

Die Pflegefachkraft sollte in der Lage sein, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten korrekt einzuschätzen. Wenn sie sich zu einer bestimmten Tätigkeit nicht in der Lage fühlt, kann – und muss sie! – diese Tätigkeit im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Selbstprüfung ablehnen.

Beispiel:

Eine Pflegefachkraft verfügt über die formelle Qualifikation Spritzen verabreichen zu dürfen. Sie arbeitet seit zwei Jahren als examinierte Kraft. Das Verabreichen der Spritzen kennt sie ausschließlich aus der Theorie – in der Praxis hat sie es bislang nicht durchgeführt. In diesem Fall fehlt eindeutig die materielle Qualifikation.

Es ist ihr Recht – und ihre Pflicht -, dies zum Ausdruck zu bringen und die Anordnung des Hausarztes nicht eigenständig auszuführen. In diesem Fall muss sie sich darum kümmern, dass der Anordnung nichtsdestotrotz nachgekommen wird. Zum Beispiel, indem sie eine qualifizierte Kollegin darum bittet, oder dies dem Arzt am Telefon mitteilt. Dann muss er die Tätigkeit übernehmen.

Fazit: Delegation ärztlicher Leistungen: straf- und haftungsrechtliche Folgen

Die Delegation stellt einen guten Weg dar, um Ärzte im Alltag zu entlasten. Wichtig ist, dass den gesetzlichen Vorschriften und Regelung Rechnung getragen wird. Ist das nicht der Fall resultieren straf- und haftungsrechtliche Folgen.

Trotz aller Spitzfindigkeiten, die im Rahmen der Delegation von Leistungen bestehen: Angst vor der Durchführung ärztlich angeordneter Maßnahmen sollte es im Pflegealltag nicht geben.