Im Alter möglichst lange selbstständig bleiben: Das wünschen sich wohl die meisten Menschen. Andererseits kann es ab einem gewissen Zeitpunkt nötig sein, dass eine andere Person den Alltag begleiten muss. Ein aktueller Ansatz ist die aktivierende Pflege: Hiermit können Senioren so viel wie nötig unterstützt werden, aber dabei so selbstständig wie möglich bleiben. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick, was man unter dieser Pflegeform versteht und wie sie sich in der Praxis anwenden lässt.
Definition: Was ist aktivierende Pflege?
„Aktivierende Pflege“ ist ein feststehender Begriff. Er bezeichnet eine moderne Form der Pflege, bei der es im Mittelpunkt steht, die Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person zu erhalten. Dies umfasst Maßnahmen auf körperlicher und geistiger Ebene, wobei vermehrt die Sensorik angesprochen werden soll. Somit lässt sich dieser Pflege-Ansatz auch als aktivierende Betreuung beziehungsweise „Hilfe zur Selbsthilfe“ verstehen.
Primäre Ziele und Bestandteile sind:
- größtmögliche Selbstständigkeit bei alltäglichen Bewegungsabläufen erhalten
- Pflegebedürftige ermutigen und in eigenen Handlungen bestärken
- Berücksichtigung von Risikofaktoren im Pflegeplan, wie z. B. erhöhte Sturzgefahr
Genau genommen sollte aber jede Art von Pflege einen aktivierenden Charakter haben. So heißt es im §2 des SGB XI (Sozialgesetzbuch Selbstbestimmung):
Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten.
§2 des SGB XI
Entsprechend legt § 11 SGB XI fest, dass in Pflegeeinrichtungen „eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde“ gewährleistet sein soll.
In der Praxis: Wie genau läuft aktivierende Pflege ab?
Aus Zeit- und Personalmangel steht insbesondere in der Altenpflege die reine Versorgung der Menschen im Vordergrund. Eine aktivierende Betreuung setzt sozusagen genau am anderen Ende an: Statt den Pflegebedürftigen alle Arbeit abzunehmen, ermutigt diese Pflegeform die Patienten, Tätigkeiten wieder selbstständig auszuführen. Dazu gehören insbesondere alltägliche Aufgaben wie die Körperpflege.
Gibt es spezielle Übungen in der aktivierenden Pflege?
Im Grunde gilt es bei der aktivierenden Pflege, die Eigenständigkeit des Pflegepatienten aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen. Daher ist diese Pflegeform weniger auf spezielle Übungen ausgelegt, als vielmehr auf alltagspraktische Aktivierung. Für die notwendige Unterstützung gibt es aber Hilfen, wie Haltegriffe oder spezielles Essbesteck. Speziell im Fall von Demenz kann ganz normales Gedächtnistraining als aktivierende Maßnahme einbezogen werden.
Dabei sollten unbedingt Grenzen beachtet und respektiert werden, insbesondere im Hinblick auf Wahrnehmung und physische Fähigkeiten. Dazu zählen Alterserscheinungen der Gelenke, wie Arthrose oder Rheuma, die schon bei kleinen Bewegungen Schmerzen auslösen können. Es lohnt sich daher, auch bei vermeintlich selbstverständlichen Bewegungen mit einer Schmerzskala zu arbeiten.
Aktivierende Pflege nach Bobath
Ein bekanntes System, nach dem sich Maßnahmen in der Pflege richten können, ist die aktivierende Pflege nach Bobath. Diese Methode wurde von dem Ehepaar Berta und Karl Bobath in den 1940er Jahren entwickelt. Sie basiert auf der Annahme einer lebenslangen Fähigkeit des Gehirns, zu lernen und sich umzuorganisieren – und davon ausgehend Bewegungsabläufe neu erlernen zu können.
Ein zentraler Gedanke dabei ist, dass Sensorik und Motorik stark miteinander verbunden sind. Um also einem Menschen wieder mehr Mobilität zu ermöglichen, müssen Pflegende Raum für Sinneserfahrungen schaffen und Patienten aktiv an Bewegungsabläufen teilnehmen lassen – unter anderem beim Essen, Waschen und einfachen Tätigkeiten im Haushalt. Bei der Einleitung der Bewegung spielen drei sogenannte „Schlüsselpunkte“ eine Rolle:
1. | Zentraler Schlüsselpunkt | im Bereich des Brustbeins (bildet den Schwerpunkt des Oberkörpers) |
2. | Proximale Schlüsselpunkte | nah am Rumpf, wie Schultern und Becken |
3. | Distale Schlüsselpunkte | körperferne Schwerpunkte, zum Beispiel Hände und Füße |
Die Bobath-Methodik wird mittlerweile weltweit angewendet, um selbst Menschen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems, mit Lähmungserscheinungen oder Spastiken bei der Rehabilitation zu unterstützen.
Im Groben umfasst die aktivierende Pflege nach Bobath:
Therapeutisch-aktivierende Pflege | Meint im Grunde, dass der Patient in Pflegehandlungen einbezogen wird. Ziel ist es, die Eigenaktivität zu fördern, was zum Beispiel Körperpflege, Anziehen oder Nahrungsaufnahme betrifft. |
Rückengerechtes Arbeiten | Betrifft vor allem die Pflegenden, die zum Beispiel mit Hilfsmitteln wie Gleitfolie oder Stoppersocken arbeiten sollen. Ziel ist hier, bandscheibenschonend zu arbeiten. |
Lagerung und Positionierung | Indem der Patient Zeit zum Reagieren erhält, soll die eigene Bewegung gefördert werden. Bei der Positionierung achten Pflegekräfte auf möglichst viel Einbeziehung der Pflegebedürftigen. |
Die aktivierende Pflege nach Bobath beinhaltet außerdem verschiedene Liege- und Sitzpositionen, die auf klassischen Positionen beruhen, aber zugunsten der Eigeninitiative modifiziert wurden. So ist die angepasste Seitenlage, bei welcher der Patient auf der „schwächeren“ Seite positioniert ist, beispielsweise ideal für eine aktivierende Körperpflege. Nach und nach kann dabei die eigene Fähigkeit zur Intimpflege wiederhergestellt und dem Patienten ein Stück Selbstständigkeit zurückgegeben werden.
Weitere Maßnahmen für aktivierende Pflege – ein Beispiel: Die belebende Waschung
Eine weitere Möglichkeit, aktivierende Pflegemaßnahmen umzusetzen, ist die belebende Waschung. Diese eignet sich insbesondere für stark beeinträchtigte Pflegebedürftige, da sie auch als Ganzkörperwaschung im Bett durchgeführt werden kann. Das Ziel hierbei ist, sich bestimmte Körperregionen bewusst zu machen. Dabei gehen Pflegepersonen folgendermaßen vor:
Bereiten Sie eine Schüssel mit Wasser vor, das rund 10 Grad unter der Körpertemperatur liegt. |
Achten Sie darauf, dass kein Luftzug im Zimmer ist und eine angenehme Raumtemperatur herrscht. |
Es wird immer nur der Körperbereich entkleidet, der gerade gewaschen wird – der Intimbereich bleibt bei dieser Waschung ausgespart. |
Bitten Sie den Patienten, sich die betreffende Körperzone bewusst zu machen. |
Waschen Sie mit einem leicht rauen Waschlappen oder Tuch entgegen der Haarwuchsrichtung. |
Eine solche Waschung können auch Angehörige zu Hause vornehmen. Am besten lassen Sie sich dabei einmal von einer mobilen Pflegekraft anleiten.
Sinnvoll, aber aufwendig: Vor- und Nachteile aktivierender Betreuung
Besonders im Hinblick auf die Rehabilitation nach Unfällen oder Krankheiten ist aktivierende Pflege von Bedeutung. Daher betrifft sie nicht nur die Altenpflege – hat aber auch hier ihre Berechtigung, um Patienten wieder ein Stück Lebensqualität zurückzugeben. Allerdings erfordert ihre Durchführung mitunter viel Einsatz seitens der Pflegenden. Die Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Anwendung aktivierender Maßnahmen in der Altenpflege können Sie im Folgenden nachlesen.
Welche Vorteile hat aktivierende Pflege?
Im Gegensatz zur reinen „Versorgungspflege“ hat eine aktivierende Betreuung viele Vorteile. Dazu gehören:
- Pflegebedürftige können ihren Bewegungsspielraum erweitern.
- Die Patienten erlangen so wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
- Selbstständigkeit und Unabhängigkeit im Alltag werden gefördert, Altersbeschwerden wie Demenz oder Gebrechlichkeit lassen sich mitunter hinauszögern.
- Das (Selbst-)Vertrauen hebt nachhaltig die Stimmung, da Pflegepatienten wieder selbstständig am Alltag teilnehmen und sich um sich selbst kümmern können.
Die wiedergewonnene Selbstständigkeit gibt auch bei den Pflegenden wieder Ressourcen frei: Wenn die Patienten sich beispielsweise allein waschen können, bleibt mehr Zeit für zwischenmenschliche Aspekte und andere Formen der Aktivierung in der Pflege. Somit lohnt sich der Mehraufwand einer aktivierenden Betreuung auf lange Sicht.
Was sind die Nachteile der aktivierenden Pflege?
Im Vergleich zur reinen Versorgungspflege ist eine aktivierende Betreuung zu Beginn wesentlich aufwendiger und mühevoller. Es braucht Zeit und Mühe, um den Maßnahmenplan optimal auf den Patienten einzustellen – insbesondere bei der aktivierenden Pflege nach Bobath, wo individuelle Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Weitere Nachteile sind:
- Die Pflegeperson sollte genaue Kenntnisse der Maßnahmen besitzen, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden. Daher ist in der Regel eine Weiterbildung nötig.
- Der Pflegeplan sollte je nach Ansprechen bzw. Reaktion des Patienten immer wieder angepasst werden – das erfordert Zeit und genaue Beobachtung seitens der Pflegenden.
- Nicht immer lassen sich Patienten zu aktivierenden Maßnahmen motivieren.
- Mitunter schlägt die aktivierende Betreuung nicht an.
Wenn Sie aktivierende Maßnahmen in der Pflege umsetzen möchten, sollte dies immer im Dialog mit dem Pflegebedürftigen geschehen. Besonders wichtig ist dabei, Patienten nicht zu überfordern, sondern sich einfühlsam und langsam an mögliche aktivierende Pflegemaßnahmen heranzutasten.
Und was, wenn…? So motivieren Sie Patienten zu aktivierenden Pflegemaßnahmen
Nicht immer ist es einfach, Pflegebedürftige dazu zu motivieren, bei der aktivierenden Pflege mitzuwirken. Das kann vor allem dann vorkommen, wenn ein Mensch lange im Sinne der reinen Versorgungspflege behandelt wurde und nun wie „aus heiterem Himmel“ selbst beim Waschen und Essen mitwirken soll.
Vor allem, wenn Altersdepression oder Durchgangssyndrom eine Rolle spielen, sehen sich Pflegende oft mit ablehnendem oder gar aggressivem Verhalten konfrontiert. Schließlich stellt die neue Pflegeform eine Umstellung und ein Abweichen vom normalen Alltagsrhythmus dar, der von außen betrachtet eintönig erscheinen kann, aber Pflegebedürftigen auch Sicherheit bietet. Von daher gilt:
- Wägen Sie als Pflegeperson je nach dem Zustand und der Reaktion des Patienten ab, ob eine Umstellung auf aktivierende Pflegemaßnahmen wirklich zuträglich ist.
- Beginnen Sie nicht einfach mit einer neuen Pflegeform, sondern beziehen Sie den Patienten ein. Kommunizieren Sie, warum Sie diese Sache tun und warum.
Da bei Pflegebedürftigen Schamgefühl einerseits und Hilfebedürftigkeit andererseits oft ambivalent zusammenspielen, besteht mitunter ein hohes Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Schon allein dadurch, dass Sie Ihr Gegenüber in die Entscheidung für aktivierende Maßnahmen einbeziehen, geben Sie ihm oder ihr ein Gefühl von Würde und Selbstwirksamkeit zurück – was in vielen Fällen wiederum eine positive Einstellung gegenüber der „neuen“ Methode bewirkt.