Schwierigkeiten bei Medikamentengabe

Die Medikamentengabe muss mit viel Geduld und Geschick der Pfleger durchgeführt werden.
Im Fokus des Bildes ist die geöffnete Hand eines Seniors mit mehreren Tabletten zu sehen.
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Inhaltsverzeichnis

Während der Übergabe erklärt die Schichtleitung des Frühdienstes:

Frau Mayer wollte mal wieder die Medikamente nicht nehmen. Ich habe sie gemörsert und ihr unter einen Schokoladenpudding gemischt.

Die Fachkraft Frau Kluge ruft entsetzt aus:

Aber das darf man doch gar nicht!

Ihre Kollegin sagt:

Das weiß ich auch. Deshalb habe ich den Arzt angerufen. Er hält es auch für sinnvoll, dass Frau Mayer die Medikamente auf diese Weise einnimmt. Er schickt uns heute Nachmittag ein Fax mit der Bestätigung. Meine Bitte an dich: Kannst du bitte mit dem Sohn reden? Er hat die Generalvollmacht. Daher soll er uns unterschreiben, dass er mit dem Mörsern der Medikamente und dem Untermischen einverstanden ist.

Frau Kluge fragt:

Bist du sicher, dass das so erlaubt ist?

Die Kollegin verliert die Geduld und erwidert:

Ja klar, der Bevollmächtigte bestätigt es, damit sind wir aus dem Schneider. Oder hast du eine bessere Idee, wie Frau Mayer an ihre Medikamente kommen soll?

Hierauf hat Frau Kluge auch keine Antwort.

Vermutlich betreuen Sie ebenfalls demenziell veränderte Pflegekunden wie Frau Mayer, die ihre Medikamente nicht einnehmen wollen. Für viele Pflegekräfte scheint das Mörsern und Untermischen der Medikamente die einzig gangbare Lösung zu sein. In Wahrheit ist dies aber sogar strengstens verboten, denn hiermit führen Sie eine Zwangsbehandlung durch (siehe Infokasten). Diese darf nur in einer Klinik und nur mit richterlicher Genehmigung durchgeführt werden.

Zwangsbehandlung:

Die Zwangsbehandlung ist in § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Hier lautet die Formulierung „ärztliche Zwangsmaßnahme“. Dies umfasst aber auch die Medikamentengabe oder die Körperpflege gegen den Willen des Pflegekunden. Eine Zwangsbehandlung darf nicht zuhause oder in einer Pflegeeinrichtung, durchgeführt werden. Hierfür ist ein Klinikaufenthalt erforderlich. Sie muss immer richterlich genehmigt sein. Die Zustimmung des Betreuers oder Bevollmächtigten reicht nicht aus.

Bleiben Sie kritisch

Ich sehe diese Regelung zu Teil sehr kritisch. Möglicherweise fragen Sie sich ebenso wie ich: Wie lange soll ein Pflegekunde in der Klinik bleiben, wenn er seine Medikamente nicht freiwillig einnimmt? Zudem stellt sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Denn was ist für den Pflegekunden besser: die zwangsweise Medikamentengabe in der Klinik oder das Verabreichen zuhause bzw. in Ihrer Einrichtung, ohne dass er es überhaupt bemerkt?

Dies ist die eine Seite. Zum anderen geht es jedoch darum, dass Ihr Pflegekunde zu etwas gezwungen werden soll, was er nicht will. Dies ist ein Eingriff in seine persönliche Freiheit, die sich vermutlich keiner von uns wünscht. Durch die Genehmigungspflicht soll sichergestellt sein, dass eine Zwangsbehandlung nur in gravierenden Fällen in Frage kommt. Vor allem greift dies nur, wenn eindeutig geklärt ist, dass Ihr Pflegekunde aufgrund einer geistigen Erkrankung/kognitiven Einschränkung nicht zu einer entsprechenden Entscheidung in der Lage ist.

Mein Rat: Beginnen Sie von vorn

Viele Pflegekräfte stecken bei Medikamentenablehnung in einer regelrechten Sackgasse. Mir hilft es in diesen Situationen oft, von vorn zu beginnen und alle Aspekte neu zu überdenken. Daher schlage ich Ihnen die folgenden 3 Schritte vor.

1. Schritt: Hinterfragen Sie die Ablehnung

Fragen Sie sich: Lehnt der Pflegekunde die Medikamente wirklich ab? Besonders bei demenziell veränderten Pflegekunden ist nicht immer eindeutig, worauf sich die Abwehr konkret bezieht. Generell gibt es 2 Möglichkeiten:

Möglichkeit A: Fremdkörpergefühl oder Schluckstörungen

Möglicherweise lehnt der demenzerkrankte Pflegekunde die Medikamente gar nicht ab, sondern erkennt sie nicht als solche. Dies ist vermutlich der Fall, wenn er die Medikamente anstandslos einnimmt und dann wieder ausspuckt.

Finden Sie die Ursache für das Ausspucken heraus. Häufig ist dies ein reflexhaftes Entledigen von Fremdkörpern etwa wie bei einem Kirschkern. In diesem Fall ist das Mörsern der Medikamente als Erleichterung der Einnahme gedacht. Dann ist es keine Zwangsmaßnahme. Voraussetzung hierfür sind folgende Kriterien:

  • Es gibt eine ärztliche Erlaubnis zum Mörsern oder die schriftliche Mitteilung der Apotheke, dass Sie die Medikamente mörsern dürfen.
  • Bitten Sie den Betreuer/Bevollmächtigten um das schriftliche Einverständnis.
  • Sie zerkleinern jedes Medikament einzeln und legen es jeweils auf einen Löffel zusammen mit etwas Joghurt oder Pudding.
  • Sie erklären Ihrem Pflegekunden eindeutig, dass es sich um Medikamente handelt.

Möglichkeit B: Ablehnung der Medikamenteneinnahme

Ihr Pflegekunde sieht die Medikamente und nimmt sofort eine Abwehrhaltung ein. Falls er die Medikamenteneinnahme ablehnt, versuchen Sie, die Gründe aus seinen Äußerungen und/oder seinem Verhalten heraus zu deuten. Diese sind oft versteckt und scheinbar unverständlich. So kann er etwa mit „Das ist viel zu groß“ meinen, dass es viel zu viele Tabletten sind.

Die Gründe sind zudem oft sehr individuell. Gegebenenfalls erfahren Sie hierzu etwas in der Biografie oder durch Angehörige zur generellen Einstellung Ihres Pflegekunden zu Ärzten und Medikamenten. In der Übersicht 5 finden Sie einige häufige Gründe für Medikamentenablehnung. Versuchen Sie, zunächst zu erfassen, ob hiervon einer infrage kommt. Dies erleichtert Ihnen die genaue Ursachenforschung.

2. Schritt: Prüfen Sie die Notwendigkeit

Bei beiden Möglichkeiten kann es helfen, wenn Sie die Anzahl der festen Medikamente vom Arzt reduzieren lassen. Besprechen Sie, welche Medikamente Ihr Pflegekunde unbedingt einnehmen muss. Oder der Mediziner setzt die Medikamente probehalber ganz ab. Binden Sie unbedingt die bevollmächtigten Angehörigen oder den Betreuer in diese Entscheidung ein.

Tipp

Bitten Sie den Arzt, die Medikamente so umzustellen, dass die Einnahme nur noch einmal am Tag notwendig ist. Auf diese Weise können Sie die Medikamentenvergabe auf einen günstigen Zeitpunkt am Tag verlegen. Dies geht jedoch nur, wenn Ihr Pflegekunde nicht zu viele Medikamente erhält. Lassen Sie andere Darreichungsformen verschreiben, etwa Pflaster, Tropfen, Schmelztabletten.

3. Schritt: Überdenken Sie Ihre Vorgehensweise

Häufig hängt die Medikamentenablehnung auch mit der Herangehensweise der Pflegekräfte zusammen. Manche Pflegekunden regieren besonders abwehrend bei Hektik oder einer zu forschen Herangehensweise. Oder aber Ihrem Pflegekunden fehlen die genauen Erklärungen zu den Medikamenten und ihrer Wirkweise.

Beobachten Sie sich einmal selbst: Wie gehen Sie an die Medikamentengabe heran? Hat Ihr Pflegekunde ausreichend Zeit, sich auf die Einnahme einzustellen? Vermitteln Sie ihm das Gefühl, dass er selbst entscheiden kann? Möglicherweise erreichen Sie durch eine veränderte Herangehensweise eine bessere Akzeptanz.

Beispiele:

  • Erklären Sie Ihrem Pflegekunden in einfachen Worten, welches Medikament für welches gesundheitliche Problem verschrieben wurde. Wählen Sie hierbei weite Überbegriffe und vermeiden Sie wortreiche Erklärungen.
  • Entwässerungs-, Blutdruck- und Herzmedikamente können Sie etwa umschreiben mit: „Die rote Tablette ist fürs Herz/für den Blutdruck.“ Magenmedikamente oder Cholesterinhemmer können Sie zusammenfassen als „Medikamente zur Verdauung“.
  • Fragen Sie ihn vor jeder Einnahme, ob er seine Medikamente nehmen möchte.

Sichern Sie sich ab

Wenn Sie die 3 Schritte durchlaufen haben, haben Sie im besten Fall festgestellt, dass Ihr Pflegekunde die Medikamente gar nicht ablehnt. Falls er sie ablehnt, versuchen Sie, die Gründe herauszufinden. Außerdem steht folgende Frage im Raum: Ist das Medikament so lebenswichtig, dass es eine Zwangsbehandlung in der Klinik rechtfertigt? Dies trifft vermutlich nur in den seltensten Fällen zu.

Eine unserer Berufsbetreuerinnen ist folgenden Weg gegangen: Sie hat das Betreuungsgericht über die Situation informiert. Ebenso hat sie erläutert, dass sie bei möglichen gesundheitlichen Problemen eine Krankenhauseinweisung einleiten wird. Dem betroffenen Pflegekunden geht es übrigens bis heute ohne Medikamente sehr gut.

Dieses Vorgehen sollten Sie dem Betreuer oder Bevollmächtigten Ihres Pflegekunden ebenfalls vorschlagen. Hiermit sind alle Beteiligten abgesichert. Und Sie haben zugleich die Selbstbestimmung des Betroffenen beachtet. Für Sie als Fachkraft ergibt sich hieraus eine neue Aufgabe. Denn nun ist Ihre Beobachtung besonders gefragt, damit mögliche Komplikationen möglichst früh auffallen.

Argumentieren Sie mit Ihrer Fachlichkeit

Sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich werden vermutlich zahlreiche Angehörige Ihre Einwände nicht verstehen. Eine Angehörige sagte in diesem Zusammenhang einmal zu mir: „Was machen Sie bloß für ein Heckmeck! Ich mache das immer so – Tabletten klein machen und ins Lieblingseis meiner Mutter gemischt. Damit geht es ihr doch gut. Wenn es ihr nun schlechter geht, sind Sie schuld.

Am besten lassen Sie sich in diesen Situationen nicht in Grundsatzdiskussionen über das Thema „Selbstbestimmung“ verwickeln. Erklären Sie, dass Sie durch Ihre fachliche Qualifikation die bestehenden Vorgaben zwingend einhalten müssen.

Versetzen Sie sich in die Perspektive Ihres Pflegekunden

Bestimmt würden Sie auch heftig abwehren, wenn Sie ständig bedrängt würden, Medikamente einzunehmen, die Sie nicht wollen. Entsprechend ist es vor allem wichtig, dass Sie auch Ihren Pflegekunden nicht zu sehr bedrängen. Hiermit verstärken Sie seine Ablehnung nur noch mehr. Wägen Sie Ihre Maßnahmen gründlich ab und probieren Sie die verschiedenen Alternativen aus.

Übersicht: Beispiele für mögliche Gründe

  • Ihr Pflegekunde kann sich nicht an seinen Hausarzt, seine Diagnosen und Medikamente erinnern.
  • Er fühlt sich entmündigt, da er seine Medikamente nicht mehr selbst kontrolliert.
  • Die Tabletten kommen ihm fremd vor, weil sich durch die verschiedenen Generika das Aussehen ständig ändert.
  • Er soll zu viele Tabletten gleichzeitig einnehmen (etwa ein Töpfchen mit 7 Tabletten für den Morgen).
  • Er fühlt sich nicht krank und sieht daher keine Notwendigkeit, Medikamente einzunehmen.
  • Ihr Pflegekunde hat Angst, dass man ihn vergiften will.
  • Der Geruch oder Geschmack des Medikamentes stößt Ihren Pflegekunden ab.
  • Die Tabletten sind zu groß.
  • Er hat eine negative Grundeinstellung zu Medikamenten.
  • Er befürchtet Nebenwirkungen.