Pflegegrad: Widerspruch einlegen – Tipps und Muster

Comic auf dem zwei Männer, ein Senior und ein junger Mann, gemeinsam am Scheibtisch sitzen und Dokumente ausfüllen.
Beim Ausfüllen von Dokumenten ist es hilfreich, sich etwas Input von außen zu holen. © MJ
Inhaltsverzeichnis

Wer bei der Pflegekasse einen Antrag auf Pflegeleistungen stellt, bekommt Besuch von einem Gutachter, der den Pflegegrad der pflegebedürftigen Person feststellt. Nicht immer kommt dabei das Ergebnis heraus, dass der Antragssteller sich wünscht. Dabei kann es sinnvoll sein, Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid einzureichen. Denn Fakt ist: Fast jeder fünfte Antrag in Deutschland wird abgelehnt.

Doch nicht nur eine Ablehnung ist für die Betroffenen problematisch. Auch kann der festgestellte Pflegegrad (ehemals Pflegestufe) zu niedrig sein. Dadurch fehlen wichtige Leistungen und die erhoffte finanzielle Unterstützung. Wer das Gefühl hat, dass der Pflegegrad falsch festgestellt oder zu Unrecht abgelehnt wurde, kann Widerspruch einlegen. Dafür müssen allerdings einige Besonderheiten berücksichtigt werden. 

Frist beim Widerspruch zum Pflegegrad

Wenn der Pflegegrad abgelehnt wurde, können Sie Widerspruch dagegen einlegen. Wichtig ist, dass dies innerhalb eines Monats geschieht. Die Frist läuft ab dem Datum der Zustellung des Bescheids der Pflegekasse.

Warten Sie also nicht zu lange und kümmern Sie sich so schnell wie möglich um den Einspruch. Es genügt nämlich oft nicht, einfach nur ein formloses Schreiben zu schicken. Im besten Fall begründen Sie Ihren Widerspruch und gehen ausführlich darauf ein, weshalb Sie der Meinung sind, dass der Bescheid der Pflegekasse falsch ist. Je besser Sie Ihren Einspruch begründen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Pflegeversicherung einen neuen Begutachtungstermin ansetzt. 

Bescheid der Pflegekasse basiert auf diesem Gutachten

Die Pflegekasse folgt in der Regel dem Gutachten, das der Gutachter des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) nach seinem Besuch bei der pflegebedürftigen Person erstellt hat. Bei dieser Pflegebegutachtung wird die Person auf Basis festgelegter Kriterien begutachtet, zum Beispiel:

  • wie eigenständig sie in ihrer Mobilität ist, 
  • ob sie ihre Körperpflege noch selbstständig durchführen kann,
  • ob die Person Medikamente nehmen oder Therapiegeräte nutzen muss. 

Auch die mentale und geistige Verfassung werden im Rahmen der Pflegebegutachtung ermittelt sowie die Fähigkeit der Person, am sozialen Leben teilzunehmen. 

Anhand eines Punktesystems, bei der für die einzelnen Alltagshandlungen und wie der Antragssteller mit ihnen umgeht, Punkte vergeben werden, wird dann eine Gesamtpunktzahl ermittelt. Je nach Höhe ist daran der Pflegegrad gekoppelt.

Der Besuch durch den MDK-Gutachter dauert in der Regel zwischen 20 und 120 Minuten. Um eine komplexe Pflegesituation wiederzugeben, ist das nicht viel Zeit, weshalb es häufig dazu kommt, dass die tatsächliche Situation auf Basis des kurzen Besuchs falsch eingeschätzt wird. Für die Betroffenen ist das fatal.

Wann lohnt sich ein Widerspruch gegen den Pflegegrad?

Ein Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid lohnt sich immer dann, wenn Sie das Gefühl haben, dass der Bescheid fehlerhaft ist. Gehen Sie das Pflegegutachten durch und überlegen Sie, ob der genannte Pflegebedarf den Tatsachen entspricht und wo mehr Unterstützung benötigt wird, als es das Gutachten bescheinigt:

  • Wurden möglicherweise kognitive Aspekte außen vor gelassen und nur der körperliche Pflegebedarf berücksichtigt?
  • Wurden medizinische Atteste oder Gutachten nicht berücksichtigt?
  • Wird eine Selbstständigkeit bescheinigt, die in der Realität Ihrer Meinung nach nicht vorhanden ist?

Je mehr Ungereimtheiten oder Ungenauigkeiten Sie im Pflegegutachten finden können, die von der Wirklichkeit abweichen, desto erfolgversprechender ist Ihr Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid.

Pflegegrad: So können Sie den Widerspruch begründen

Es kann verschiedene Gründe für Ihre Widerspruchsbegründung geben. Einige sind naheliegend und formell, andere inhaltlicher Art.

Beispiele für formelle Gründe

  • Die Punkte wurden falsch zusammengezählt, woraus sich ein zu niedriger Pflegegrad ergibt. Das geschieht nicht häufig, aber kann vorkommen. Rechnen Sie daher selbst einmal durch, was im Gutachten steht. 
  • Der Bescheid wurde ohne das Gutachten zugestellt und erfolgt ohne Begründung. 
  • Dem Schreiben fehlt die Rechtsbehelfsbelehrung, die Sie auf Ihr Recht zum Widerspruch hinweist. 
  • Das Schreiben trägt keinen Absender. 
  • Der Bescheid ist nicht unterzeichnet, weder persönlich noch maschinell.

Beispiele für inhaltliche Gründe

  • Am Tag der Begutachtung war die pflegebedürftige Person außergewöhnlich fit, der sie weniger pflegebedürftig hat erscheinen lassen. 
  • Die pflegebedürftige Person hat ihren eigenen Zustand besser dargestellt als er ist.
  • Im Gutachten wurden wichtige pflegerische Aspekte nicht berücksichtigt. 
  • Seit dem Gutachten ist der Zustand der Person merklich schlechter geworden. 
  • Kriterien der Pflegebedürftigkeit wurden falsch interpretiert. 
  • Gesundheitliche Probleme, Krankheitsbilder oder Symptome wurden in das Gutachten nicht ausreichend mit einbezogen. 

Auch wenn formelle Fehler selten sind, so sollten Sie keine Zeit verstreichen lassen und den Widerspruch mit Ihrer Widerspruchsbegründung einlegen. Häufig führt es aber dazu, dass Ihnen dann ein neuer Bescheid mit demselben Inhalt zugestellt wird – bloß mit korrigierten Formfehlern. Mehr Erfolg hat in der Regel ein Widerspruch aus inhaltlichen Gründen.

Bereiten Sie sich sorgfältig auf eine inhaltliche Begründung Ihres Widerspruchs vor und holen Sie sich dafür im Zweifel auch Hilfe von Ärzten oder Pflegeberatern. Ein Anwalt kann Sie ebenfalls bei der Formulierung der Begründung für den Widerspruch unterstützen. 

Widerspruch gegen den Pflegegrad mit einem Gegengutachten

Sie können selbst einen Gutachter engagieren, der ein Gegengutachten erstellt. Das ist eine kostspielige Angelegenheit, untermauert aber die Ernsthaftigkeit Ihres Widerspruchs gegen den Pflegegrad-Bescheid. Insbesondere, wenn sich das Pflegegutachten und die tatsächliche Pflegesituation stark voneinander unterscheiden, lohnt sich ein eigener, unabhängiger Gutachter. 

Um eine weitere Begutachtung durch den MDK kommen Sie aber dennoch nicht herum. Denn auf einen Widerspruch hin erfolgt häufig ein weiterer Besuch durch einen Gutachter. 

Muster für einen Widerspruch zum Pflegegrad

Ihren Widerspruch müssen Sie schriftlich einreichen. Sie haben dabei die Wahl, ob Sie Ihre Begründung direkt nennen oder nachreichen. Reichen Sie sie nach, sollten Sie dies in Ihrem Schreiben deutlich machen. Nutzen Sie diesen Musterbrief, um Ihren Widerspruch zu formulieren:



Krankenversicherungs-Nummer: …..

Betreff: Widerspruch gegen Ihren Bescheid vom …. 

Ihr Zeichen: …..



Sehr geehrte Damen und Herren,



ich bin davon überzeugt, dass Ihre Einstufung in den Pflegegrad nicht korrekt ist. Daher lege ich hiermit Widerspruch gegen Ihren Bescheid vom …. ein. Eine Begründung reiche ich zeitnah nach./Die Begründung lautet wie folgt:

Nachweise liegen diesem Schreiben bei. 

Mit freundlichen Grüßen

……. (Unterschrift)

Falls Sie Zeit benötigen, Nachweise zu besorgen, die dem Ablehnungsbescheid widersprechen, dann versenden Sie Ihr Widerspruchsschreiben erst einmal ohne diese. Wichtig ist, dass Sie den Widerspruch zeitnah einreichen, bevor die Frist von einem Monat verstreichen. Mit diesem Musterbrief, der auf das Nachreichen der Begründung verweist, ist Ihre erste Pflicht getan. 

Das passiert bei einem Widerspruch gegen den Pflegegrad

Die Pflegeversicherung hat drei Monate Zeit, um Stellung zum Widerspruch zu beziehen. Meist erfolgt eine Reaktion aber schon früher. Wird diese Bearbeitungszeit nicht eingehalten, können Antragssteller eine Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht einreichen. Dazu kommt es aber sehr selten.

Es gibt einen Widerspruchsausschuss, der darüber entscheidet, wie mit Ihrem Einspruch verfahren wird. Nach Absenden Ihres Widerspruchs erhalten Sie dann einen Brief, in dem die Pflegekasse das weitere Vorgehen schildert. 

  • Ist der Widerspruch erfolgreich, da die Widerspruchsbegründung schlüssig war, wird ein Termin für eine neue Begutachtung der Pflegesituation angesetzt. Bei diesem Termin wird erneut die gesamte Pflegesituation betrachtet, nicht nur die angefochtenen Punkte. Zu diesen hat der Gutachter aber möglicherweise nähere Fragen. Im Anschluss an den Termin müssen Sie auf den nächsten Bescheid warten. 
  • Ist der Widerspruch nicht erfolgreich, gilt der Ablehnungsbescheid als festgesetzt. Sie können dann einen neuen Antrag auf Pflegeleistungen stellen, allerdings erst nach sechs Monaten Wartezeit.

Führen Sie in der Zeit bis zur nächsten Begutachtung ein Pflegetagebuch, indem Sie festhalten, in welchen Situationen die pflegebedürftige Person Unterstützung braucht, wie lange diese dauert, welche Aufgaben im Haushalt übernommen werden müssen und wie seine kognitive und körperliche Verfassung ist. Dieses Pflegetagebuch können Sie dem Gutachter beim nächsten Besuch an die Hand geben. 

Auch wenn die Gefahr besteht, dass der Widerspruch abgelehnt wird – einen Versuch ist es in jedem Fall wert, wenn Sie der Meinung sind, dass der Bescheid falsch ist und der Pflegebedarf der Person höher ist als durch den Gutachter ermittelt. Schließlich geht es um wertvolle Leistungen und bares Geld, das bei der Durchführung der Pflege helfen und eine Erleichterung für den Pflegebedürftigen sowie die pflegenden Angehörigen sein kann. 

Fazit: Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid einzulegen, kann erfolgreich sein

Berücksichtigen Sie die Fristen für Ihren Widerspruch gegen den Pflegegrad-Bescheid, ist der erste Schritt schon getan. Einen Monat haben Sie Zeit, Ihren Widerspruch einzureichen. Anschließend geht es darum, das Gutachten Schritt für Schritt durchzugehen und auf Diskrepanzen zu prüfen. Alles, was vom tatsächlichen Pflegebedarf der Person abweicht, sollten Sie aufgreifen und dagegen argumentieren. Atteste, Nachweise und medizinische Gutachten können Ihre Widerspruchsbegründung untermauern. In seltenen Fällen sind Formfehler schuld, dass Anträge auf Pflegeleistungen abgelehnt werden. 

Wird dem Widerspruch stattgegeben, wird ein neuer Termin für eine Pflegebegutachtung angesetzt. Wird der Widerspruch abgelehnt, können Sie nach sechs Monaten erneut einen Antrag stellen. Scheuen Sie den Aufwand nicht, wenn Sie der Meinung sind, dass der erste Antrag fehlerhaft war. Es lohnt sich für die Pflegeleistungen zu kämpfen.