Der neue Pflegegradrechner

So ermitteln Sie den Pflegegrad richtig
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Inhaltsverzeichnis

Seit dem 1. Januar 2016 gilt das Pflegestärkungsgesetz II. Im Fokus stehen vor allem der Wechsel von Pflegestufen in Pflegegrade sowie das neue Begutachtungsassessment (NBA) bzw. das neue Begutachtungsinstrument (NBI). Ziel ist es, den stationären Einrichtungen die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade möglichst einfach zu machen. Außerdem soll der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definiert werden, sodass demenziell erkrankte Versicherte im System der Pflegeversicherung künftig bessergestellt sind als bisher.

Pflegestärkungsgesetz III – Was sind die Veränderungen?

Die Pflegestufen wurden 2017 durch die Pflegegrade abgelöst, wodurch vor allem im ambulanten Bereich zum Teil erhebliche Sprünge im Umsatzpotenzial möglich sind. Vor allem Pflegebedürftige mit einer attestierten eingeschränkten Alltagskompetenz profitieren davon.

Durch das neue System erhöhen sich die Sachleistungsansprüche beispielsweise auf bis zu 609 € pro Monat und Patient. Diese Konstellation wandelt sich dann einen höheren Pflegegrad und zieht die wesentlich höheren Leistungsansprüche der Pflegekassen nach sich. Möglich wird dies durch das neue Begutachtungsverfahren, mit dem körperliche, geistige und psychische Erkrankungen gleichermaßen erhoben werden.

Im Vergleich zu dem bisher praktizierten System und dem Fokus auf körperliche Einschränkungen führt das Pflegestärkungsgesetz III hier zu einem Paradigmenwechsel. Die von den Branchenexperten lange geforderte Berücksichtigung kognitiver Einschränkungen, wie z. B. bei demenzkranken Menschen, bei der Bewertung von Pflegebedürftigkeit findet statt.

Für Sie in den Einrichtungen bedeutet dies ein verstärktes Pflegemanagement, das Setzen neuer Schwerpunkte in der Dokumentation sowie die Beratung Ihrer Pflegekunden und Angehörigen. Im ambulanten Bereich betrifft dies vor allem die Personalakquise, um die kommenden höheren Umsatzpotenziale abzuschöpfen.

Welche Faktoren berücksichtigt der Pflegegradrechner?

Mit dem neuen Prüfungsverfahren soll die bisherige Benachteiligung von Menschen mit Demenz bei der Pflege beseitigt werden. Zur Gleichstellung der kognitiven mit den körperlichen Einschränkungen wurde das System der 3 Pflegestufen in ein neues System mit 5 Pflegegraden umgewandelt. Online können verschiedene Pflegegradrechner verwendet werden, um die Pflegebedürftigkeit herauszufinden. Diese Rechner sind jedoch nicht bindend, sondern dienen lediglich der groben Orientierung für Betroffene und Angehörige. Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen in den nachfolgenden 6 Bereichen:

  1. Mobilität
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  4. Selbstversorgung
  5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Mobilität

Wenn der MDK zu einer Qualitätsprüfung in Ihre Einrichtung kommt, wird er stichprobenartig eine Einschätzung zur Mobilität der Bewohner vornehmen. Dabei erfasst er zum einen, wie er den Bewohner angetroffen hat (also liegend, sitzend, stehend bzw. in Tages­ oder in Nachtkleidung). Zum anderen wird er in seiner Begutachtung eine Beschreibung der Bewegungsfähigkeit des Bewohners aufnehmen. Dabei geht er auf die folgenden Kriterien ein:

  • Fortbewegung über kurze Strecken
  • Bewegungsfähigkeit der oberen und unteren Extremitäten
  • Lageveränderungen des Körpers, z. B. Positionswechsel im Bett, stabile Sitzposition halten, Aufstehen aus sitzender Position / umsetzen
  • Stehen

Die Gewichtung der gesammelten Punktwerte in dem Modul ist 10 %.

Es ist empfehlenswert, die Erfüllung der verschiedenen Voraussetzungen für eine eingeschränkte Immobilität zu prüfen.

So müssen Sie zum einen sicherstellen, ob ein Sturzrisiko bei der pflegebedürftigen Person aufgrund von Personen oder der Umgebung besteht. Ist dies der Fall, müssen Sie dem MDK eine aktuelle systematische Einschätzung des Sturzrisikos vorweisen. Diese können Sie in der Strukturierten Informationssammlung (SIS) oder in der Pflegeanamnese vornehmen und beschreiben.

Zum anderen sollten Sie sicherstellen, dass bei sturzgefährdeten Bewohnern die erforderlichen Prophylaxen gegen Stürze eingeleitet werden.

Mögliche Prophylaxemaßnahmen zur Vorbeugung von Stürzen können sein:

  • Sie veranlassen Maßnahmen zur Verbesserung der Sehfähigkeit des Bewohners.
  • Sie passen die Umgebung an, indem Sie z. B. Stolperfallen beseitigen, die Beleuchtung verbessern oder geeignete Hilfsmittel einsetzen.
  • Sie bieten Übungen zur Steigerung der Kraft und Balance an, wie z. B. Sitzgymnastik oder Seniorentanz.
  • Sie lassen vom Arzt die Medikation überprüfen.

Da diese Anforderungen Transparenzkriterien bei der MDK-Prüfung sind, fließt das Ergebnis in die Benotung Ihrer Einrichtung ein.

Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

Die Prüfung dieses Moduls erfolgt anhand von:

  • Gedächtnis
  • Wahrnehmung
  • Denken
  • Urteilen
  • Kommunikation (geistige und verbale „Aktivitäten“)
  • örtliche und zeitliche Orientierung
  • mehrschrittige Alltagshandlungen ausführen
  • Risiken und Gefahren erkennen

Hier wird der höchste Wert aus diesem Modul und dem Modul „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ mit 15% gewichtet.

Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

Dazu zählen beispielsweise

  • Verhaltensweisen, die mit einer Selbstgefährdung oder mit der Gefährdung anderer verbunden sind oder andere Probleme mit sich bringen können
  • psychische Probleme wie Ängstlichkeit, Panikattacken oder Wahnvorstellungen (Selbstständigkeit im Umgang mit inneren Handlungsimpulsen und Emotionen)
  • motorische Verhaltensauffälligkeiten
  • nächtliche Unruhe
  • verbale Aggressionen

Hier wird der höchste Wert aus diesem Modul und dem Modul „kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ mit 15% gewichtet.

Selbstversorgung

In diesem Modul werden folgende Kriterien herangezogen:

  • Körperpflege
  • An- und Auskleiden
  • Ernährungsweise
  • selbständige Stuhlgänge

Die Selbstversorgung erhält die höchste Gewichtung von 40% in der Pflegebegutachtung.

Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

Dieses Modul wird mit 20% in die Begutachtung einberechnet. Sie umfasst Aktivitäten, die auf die Bewältigung von therapiebedingten Anforderungen und Belastungen infolge von Krankheit zielen, z. B. Medikamenteneinnahme, Wundversorgung, Umgang mit körpernahen Hilfsmitteln oder Durchführung zeitaufwendiger Therapien innerhalb und außerhalb der häuslichen Umgebung.

Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Modul 6 spielt eine wichtige Rolle, denn die Veränderung der Alltagskompetenz ist eines der Hauptsymptome bei Demenz.

Das MDK berechnet 15% dieses Moduls für die Begutachtung:

  • Einteilung von Zeit
  • Einhaltung eines Rhythmus von Wach- und Schlafphasen
  • sinnvolle Beschäftigung
  • Pflege sozialer Beziehungen
  • den Tagesablauf gestalten und äußeren Veränderungen anpassen

Anhand dieser Kriterien lässt sich die Selbstständigkeit der Pflegeperson und somit das Modul 6 sicher einschätzen.

So wird die Pflegebedürftigkeit eingeschätzt:

Um ein umfassendes Bild über den Pflegebedürftigen zu bekommen, wird unter anderem der Grad der Selbstständigkeit anhand eines Punktwertes erfasst. Ob die Beeinträchtigungen aus Störungen motorischer Funktionen oder kognitiver Fähigkeiten resultieren, ist für die Berechnung nicht von Bedeutung. Beachten Sie, dass Pflegegrad 1 hier eine Ausnahme bildet.

Die Punktwerte für die 4 Grade der Selbstständigkeit ergeben sich wie folgt:

  • 0 Punkte = selbstständig
  • 1 Punkt = überwiegend selbstständig
  • 2 Punkte = überwiegend unselbstständig
  • 3 Punkte = unselbstständig

Außerdem werden erfasst:

  • Risiken, die einen Präventionsbedarf begründen
  • die Rehabilitationsfähigkeit
  • der Status der Hilfsmittelversorgung
  • besondere Bedarfskonstellationen

Weiterhin schätzt der Gutachter ein, ob Möglichkeiten der Verbesserung in der Pflege vorliegen, z. B. durch die Optimierung therapeutischer Maßnahmen, die Optimierung der räumlichen Umgebung oder Hilfsmitteleinsatz.

Nicht verwechseln: Wo liegt der Unterschied zwischen SIS und dem Pflegegradrechner?

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) erinnert in ihrem Grundaufbau stark an das neue Begutachtungsinstrument zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Schließlich sind die Themenfelder in der SIS weitestgehend identisch mit den Lebensbereichen im NBA. Da liegt es nahe, die am Strukturmodell orientierte Pflegedokumentation nach dem NBA auszurichten. Davor warnt jedoch das Projektbüro.

SIS und Pflegegradrechner haben unterschiedliche Funktionen

Das Projektbüro stellt in einer Stellungnahme klar: Die SIS und das neue Begutachtungsinstrument haben sowohl für die Arbeit der Pflegeeinrichtungen als auch für die Pflegekräfte ganz unterschiedliche Funktionen.

Das Begutachtungsinstrument dient der Ermittlung eines sozialrechtlichen Anspruchs. In 6 Lebensbereichen wird der Grad der Selbstständigkeit ermittelt, aus dem dann die Einstufung in den jeweiligen Pflegegrad erfolgt.

In der SIS werden allerdings darüber hinausgehende Informationen erfasst, nämlich der individuelle und situationsabhängige Pflegebedarf. Diese Informationen gelten als Grundlage für die Planung des pflegerischen Auftrags und die Formulierung des Maßnahmenplans.

Die Bestandteile der SIS sind:

  • Mobilität und Beweglichkeit
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Lebensbereiche des NBA
  • Selbstversorgung
  • Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen
  • Leben in sozialen Beziehungen
  • Wohnen/Häuslichkeit

Abweichungen als wichtiger Indikator

Eine entscheidende Frage im Pflegegradmanagement besteht darin, dass von den Pflegemitarbeitern rechtzeitig erkannt wird, ob ein Höherstufungsbedarf besteht oder nicht. Das fachliche Empfinden der Pflegefachkräfte für den Höherstufungsbedarf eines Bewohners kann nach der Umstellung an Sicherheit verloren haben.

Wie stellt die Einrichtung sicher, dass ein Höherstufungsbedarf erkannt wird?

Das Projektbüro verweist auf die Relevanz der dokumentierten Abweichungen. Wenn es im Pflegeverlauf zu einer abweichenden Versorgung kommt, als sie im Maßnahmenplan formuliert ist, hat der Pflegemitarbeiter eine Eintragung im Pflegebericht vorzunehmen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass eine Häufung von Abweichungen zugleich auch einen wichtigen Indikator für einen Höherstufungsbedarf darstellt.

Fazit: Das neue NBA bietet Vorteile für kognitiv beeinträchtigte Menschen, birgt jedoch viele Herausforderungen

Mit dem Pflegestärkungsgesetz III wurde das alte Pflegestufen- durch das neue Pflegegradsystem ersetzt, wovon alle Pflegebedürftigen profitieren können. Das bedeutet, dass sie mehr Leistungen von den Pflegekassen beziehen können. Insbesondere Personen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz sollen mit dem neuen Begutachtungsassessment berücksichtigt werden. Nicht nur für pflegebedürftige Personen bietet das vereinfachte System Vorteile. Auch Pflegeeinrichtungen soll die Umstellung auf die Pflegegrade durch das NBA vereinfacht werden.

3 zentrale Aspekte sollten Sie im Hinterkopf behalten:

  • 6 Module sind relevant, um die Pflegebedürftigkeit und Selbstständigkeit einer Person einzuschätzen
  • Pflegebedürftige werden bei der Umstellung von Pflegestufe auf Pflegegrad automatisch angehoben. Achten Sie vor allem auf kognitive Fähigkeiten.
  • Schulen Sie intensiv zu NBA: Um das Erkennen eines Höherstufungsbedarfs sowie die Souveränität mit dem neuen Prüfungsverfahren zu gewährleisten, sollten Pflegekräfte bezüglich des NBAs geschult werden.