Viele Pflegekräfte befürchten, dass sie verantwortlich gemacht werden, falls ein demenziell veränderter Pflegekunde ein Flüssigkeitsdefizit entwickelt. Um nachzuweisen, dass sie dem Pflegekunden regelmäßig Flüssigkeit angeboten und die Trinkmenge nachgehalten haben, führen sie für jeden Pflegekunden mit der Diagnose Demenz ein Trinkprotokoll.
Möglicherweise kennen Sie diese Vorgehensweise auch aus Ihrem Arbeitsalltag. Doch dies führt in erster Linie dazu, dass Pflegekräfte seitenweise Trinkprotokolle ausfüllen und viel Zeit investieren, die tägliche Flüssigkeitsmenge zu berechnen. Die Argumente hierfür sind oft nur auf den ersten Blick stichhaltig, wie die unten stehende Übersicht zeigt.
6 Irrtümer zum Thema „Trinkprotokolle“
Was daran wahr und was falsch ist:
1. Demenziell veränderte Pflegekunden haben grundsätzlich ein höheres Exsikkoserisiko als orientierte Pflegekunden.
Trifft nur zum Teil zu: Das Risiko ist höher als bei orientierten Personen, da viele demenziell veränderte Pflegekunden das Trinken vergessen oder möglicherweise nicht mehr wissen, wie man trinkt bzw. das vor ihnen stehende Getränk nicht erkennen. Es gibt jedoch auch Personen mit Demenz, die aus eigenem Antrieb ausreichend trinken und kein erhöhtes Risiko für einen Flüssigkeitsmangel haben.
2. Durch ein Trinkprotokoll verhindern Sie, dass Ihr demenziell veränderter Pflegekunde ein Flüssigkeitsdefizit entwickelt.
Falsch: Ein Trinkprotokoll gibt nur wieder, welche Menge an Flüssigkeit Ihr Pflegekunde erhalten hat. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Menge für ihn auch ausreichend ist.
Wichtiger ist es, die Anzeichen einer drohenden Austrocknung zu erkennen. Dies sind: trockene Haut und Schleimhaut, konzentrierter Urin, trübe Augen, plötzliche Verwirrtheit.
3. Trinkprotokolle sind ein gutes Kontrollinstrument und garantieren, dass der Pflegekunde ausreichend trinkt.
Trifft nur zum Teil zu: Viele Vorgesetzte ordnen das Führen von Trinkprotokollen an. Sie wollen so die Bedeutung der Flüssigkeitszufuhr hervorheben und ihre Mitarbeiter an diese Aufgabe erinnern. Das Trinkprotokoll ist in diesem Fall ein reiner Durchführungsnachweis. Aus fachlicher Sicht reicht es aus, wenn Sie in der Pflegeplanung einen detaillierten Trinkplan für Ihren Pflegekunden festlegen, die Maßnahmen ausführen und dies auf dem zugehörigen Durchführungsnachweis bestätigen.
4. Das Trinkprotokoll ist die beste Möglichkeit, sich gegen Vorwürfe abzusichern.
Trifft nur zum Teil zu: Die klassische Situation spielt sich meist so ab: Ihr Pflegekunde wird ins Krankenhaus eingewiesen. Dort stellen die Ärzte eine Exsikkose fest. Daraufhin werfen Angehörige Ihnen als Pflegekraft vor, Sie hätten sich nicht ausreichend um die Flüssigkeitszufuhr bemüht. Falls vorhanden, zeigen Pflegekräfte den bevollmächtigten Angehörigen die Trinkprotokolle des Pflegekunden, um ihre Sorgfalt nachzuweisen. Dies ist nicht die einzige Nachweismöglichkeit.
5. Ein Trinkprotokoll für demenziell veränderte Pflegekunden ist Pflicht.
Falsch: Pflicht ist, dass Sie das Risiko für ein Flüssigkeitsdefizit Ihres Pflegekunden erfassen. Falls eine Gefährdung vorliegt, müssen Sie geeignete Maßnahmen ergreifen und deren Wirksamkeit evaluieren. Ein Trinkprotokoll legen Sie nur an, wenn es fachlich notwendig ist.
6. Für jeden demenziell veränderten Pflegekunden sollte der Arzt eine Mindesttrinkmenge festlegen.
Falsch: Dies ist erst sinnvoll, wenn Sie Anzeichen oder ein Risiko für ein Flüssigkeitsdefizit feststellen.
Vereinfachen Sie Trinkprotokolle soweit wie möglich
Wenn Sie bemerken, dass Ihr Pflegekunde auffällig wenig trinkt, überprüfen Sie diesen Verdacht konkret, indem Sie zirka 7 Tage lang ein Trinkprotokoll führen. Hierzu reicht es aus, wenn Sie die Uhrzeit und die Menge der getrunkenen Flüssigkeit eintragen. Einfacher wird es, wenn Sie eine Strichliste führen, die jeder ausfüllt, der dem Pflegekunden etwas zu trinken anbietet oder anreicht.
Was muss man bei der Einschätzung des Exsikkoserisikos beachten?
Klären Sie zunächst, ob für Ihren Pflegekunde grundsätzlich die Gefahr eines Flüssigkeitsdefizites besteht. Der Expertenstandard empfiehlt hierzu das Instrument PEMU, das von den Universitäten Witten/Herdecke und Bonn entwickelt wurde. Dieses Zusatzmaterial zum Expertenstandard steht auf der Internetseite des Deutschen Netzwerkes für Qualitätsentwicklung (DNQP) zum Download bereit: www.dnqp.de
Die folgende Schritt-für-Schritt-Anleitung erklärt Ihnen das Vorgehen
1. Schritt: Führen Sie ein Screening durch
Prüfen Sie folgende Kriterien. Falls eines zutrifft, kann dies ein Hinweis auf einen beginnenden / bestehenden Flüssigkeitsmangel sein:
- plötzliche Verwirrtheit
- trockene Schleimhäute
- konzentrierter Urin
- auffällig geringe Trinkmenge (weniger als 1.000 ml pro Tag über mehre- re Tage)
- Achtung: Dies bedeutet, dass Sie hierzu die Trinkmenge über 3 (bei unauffälliger Trinkmenge) bis 7 Tage (bei wechselnder Trinkmenge innerhalb der ersten 3 Tage) lang erfassen.
- erhöhter Flüssigkeitsbedarf, z. B. Fieber, stark geheizte Räume, Sommerhitze, unangemessen warme Kleidung
- Die Anleitung zu PEMU sieht vor, dass Sie diese Einschätzung im Rahmen der Pflegeanamnese und danach alle 3 Monate wiederholen. Falls sich die pflegerische Situation verändert (etwa bei einer Infektionserkrankung, Fieber, nach Krankenhausaufenthalten), wiederholen Sie das Screening ebenfalls.
2. Schritt: Analysieren Sie die Situation mithilfe des Assessments
Stellen Sie ein Risiko fest, folgt das Assessment (Einschätzung) zur Ermittlung möglicher Risikofaktoren bzw. Ursachen:
- körperliche oder kognitiv bedingte Einschränkungen, etwa kognitive Überforderung (z. B. vergisst Ihr Pflegekunde zu schlucken oder hat vergessen, wie man trinkt), körperliche Funktionseinschränkungen oder Schluckstörungen
- fehlende Lust zu trinken, etwa durch Schmerzen, verringertes Durstgefühl, Angst vor Inkontinenz
- Umgebungsfaktoren wie z. B. Qualität der Pflegebeziehung, Hilfsmittelangebot
- Trinkangebot, d. h. Ihr Pflegekunde lehnt ab, etwa weil es ihm nicht schmeckt oder die falsche Temperatur hat.
- krankheitsbedingte Gründe wie etwa Fieber
3. Schritt: Entwickeln Sie Gegenmaßnahmen
Probieren Sie aus, wie Sie die demenziell veränderte Person am besten zum Trinken anregen können. Übernehmen Sie wirksame Strategien wie etwa das Zuprosten oder bestimmte Trinksprüche in die Pflegeplanung. Prüfen Sie während Pflege, ob Ihr Pflegekunde Anzeichen einer Exsikkose wie etwa eine trockene Mundschleimhaut oder konzentrierten Urin entwickelt. In diesem Fall müssen Sie sofort reagieren und die Maßnahmenplanung verändern.
4. Schritt: Informieren Sie den Arzt
Haben Sie alle Möglichkeiten ausgeschöpft und können keine Verbesserung erzielen, informieren Sie den behandelnden Arzt. Dieser entscheidet über die Mindesttrinkmenge. In diesem Fall müssen Sie ein Trinkprotokoll führen (ebenso wie bei einer ärztlich angeordneten Höchsttrinkmenge).
Fazit: Reduzieren Sie Ihren Zeitaufwand
Die Demenzerkrankung Ihrer Pflegekunden ist kein alleiniger Grund für die Erfassung der Flüssigkeitsmenge. Erst wenn folgende Gründe hinzukommen, ist ein Trinkprotokoll erforderlich:
- zeitlich begrenzte Erhebung im Rahmen des Screenings
- ebenfalls zeitlich begrenzt: Erfassung bei einer auffällig geringen Trinkmenge etwa bei deutlicher Ablehnung von Flüssigkeit, akuten Erkrankungen
- zur kurzfristigen Erfassung von Vorlieben und Abneigungen
- bei vorliegender ärztlicher Anordnung zur Mindest- bzw. Höchsttrinkmenge (gegebenenfalls mit zusätzlicher Anordnung einer Infusion zum Ausgleich des Defizits)
Sie sollten beachten, dass der Expertenstandard grundsätzlich als Grundlage Ihres Handels dienen sollte.