- Erkennen: Welche Geburtsfolgen zeigen sich erst im Alter?
- Narben & Schmerzen – Perineal- und Kaiserschnittnarben
- Kontinenzförderung & Stuhlmanagement
- Beckenboden-Reha im Heim – kleine Übungen, große Wirkung
- Pessar als Option bei Senkungen
- Dokumentation & Kommunikation
- Angehörigenarbeit & Einwilligung
- Fazit: Geburtsfolgen gehören für viele Frauen zur Lebensgeschichte
- FAQ: Postpartale Langzeitfolgen
- Quellen
Viele Seniorinnen leben mit Spätfolgen ihrer Geburten – oft unbemerkt. Wir zeigen, wie Pflegekräfte diese erkennen, ansprechen und zur besseren Lebensqualität beitragen können.
Viele Seniorinnen leben mit Beschwerden, die auf Geburten zurückgehen. Weder sie selbst, noch das Pflegeteam sind dabei immer in der Lage, die aktuellen Beschwerden auch tatsächlich auf Geburten zurückzuführen. Organsenkungen, Inkontinenz, chronische Schmerzen oder Narbenzug werden im Pflegealltag oft als „altersbedingt“ eingeordnet.
Dabei handelt es sich nicht selten um postpartale Langzeitfolgen, also Spätfolgen von Geburten, die sich erst im Alter bemerkbar machen. Diese strukturiert zu dokumentieren und bei Bedarf an Ärzte oder Physiotherapeuten weiterzuleiten, ist ein wichtiger Baustein der Versorgung, die die Lebensqualität der betroffenen Frauen stärkt.
Erkennen: Welche Geburtsfolgen zeigen sich erst im Alter?
Postpartale Langzeitfolgen können auch erst Jahrzehnte nach der Geburt auftreten. Ein häufiges Beschwerdebild sind Beckenbodenschwäche, Gebärmuttersenkungen (Prolaps), Harn- oder Stuhlinkontinenz, Narbenbeschwerden nach einem Dammschnitt (Episiotomie) oder Kaiserschnitt sowie eine Bauchmuskelspalte (Diastasis recti).
Ein strukturiertes Anamnesegespräch oder Aufnahmeassessment, wenn jemand in die Pflege aufgenommen wird, sollte daher immer auch die körperliche Geschichte der Frau einbeziehen:
- Wie viele Geburten gab es und wie verliefen sie?
- Gab es Dammrisse, Kaiserschnitt- oder Beckenoperationen?
- Seit wann bestehen Blasen- oder Darmprobleme?
Prolaps und Beckenbodenschwäche – Zeichen & Red Flags
Liegen bei einer Frau ein Prolaps oder eine Beckenbodenschwäche vor, gibt es meist klare Symptome, bei denen Pflegekräfte genauer hinsehen sollten.
Eine Gebärmuttersenkung (Beckenorganprolaps) kann sich auf verschiedene Weise äußern:
- Druck- oder Fremdkörpergefühl
- ziehende Schmerzen im Unterbauch
- häufiges Wasserlassen
Bei pflegebedürftigen Seniorinnen fallen häufig Haltungsveränderungen, erhöhter Harndrang oder die Vermeidung des Toilettengangs auf.
Pflegekräfte können erste Hinweise dokumentieren, zum Beispiel „Ziehen im Unterleib“, „Nach jedem Trinken ein Toilettengang nötig“, „beschreibt Fremdkörpergefühl“. Solche Beobachtungen sind wertvoll für die ärztliche Einschätzung und verhindern, dass es zu unnötigen Antibiotikagaben oder zu Fehlinterpretationen kommt.
Auch chronische Obstipation (Verstopfung) begünstigt Senkungen der Organe. Eine regelmäßige Darmentleerung, eine ballaststoffreiche Ernährung sowie eine korrekte Toilettenposition (z. B. mit einem Hocker unter den Füßen) sind daher nicht nur Wohlfühlmaßnahmen, sondern schonen den Beckenboden und tragen zu mehr Wohlbefinden bei.
Folgen von Geburtsverletzungen & Stuhlinkontinenz – Pflegefokus
Frauen mit einer Damm- oder Schließmuskelverletzung (3./4. Grad) durch eine Geburt entwickeln im Alter häufiger Stuhlinkontinenz oder Entleerungsstörungen. Diese Themen sind mit Scham behaftet, werden aber nur durch eine gezielte, respektvolle Ansprache sichtbar.
Hinweise für die Pflege, um Probleme zu erkennen:
- Häufig verschmutzte Vorlagen oder Bettwäsche ohne erkennbare Ursache
- Druckstellen im Analbereich, Juckreiz oder Ekzeme
- Unsicheres Verhalten beim Toilettengang
Pflegerisch wichtig sind:
- regelmäßige Hautpflege mit barriereaufbauenden Cremes
- Toilettenassistenz mit Zeit und Ruhe
- Dokumentation der Ausscheidungssituation.
Bei dem Verdacht auf eine Schließmuskelschwäche sollte eine ärztliche Abklärung durch die Urogynäkologie oder Proktologie erfolgen.
„Ich erinnere mich an eine Bewohnerin mit immer wieder verschmutzter Bettwäsche. Sie sagte nur: ‚Ich merke das nicht.‘ Nach der ärztlichen Abklärung kam heraus: alte Dammverletzung, Schließmuskelschwäche. Niemand hatte das je hinterfragt. Seitdem achte ich bei Stuhlinkontinenz immer auf die Geburtengeschichte. Manchmal liegt die Lösung 40 Jahre zurück.“
Narben & Schmerzen – Perineal- und Kaiserschnittnarben
Viele Seniorinnen leben mit alten Narben nach Dammriss oder Episiotomie (Dammschnitt), die durch Hormonmangel und Trockenheit der Haut wieder empfindlich werden. Typische Beschwerden sind:
- Brennen
- Ziehendes Gefühl im Sitzen
- Druckgefühl oder Dyspareunie (Schmerz beim Intimkontakt)
Auch Kaiserschnittnarben können durch Verklebungen chronische Schmerzen im Unterbauch verursachen. Diese werden oft fälschlicherweise als Blasenentzündung oder Bauchschmerzen interpretiert.
Pflegekräfte können unterstützen, indem sie:
- Haut- und Narbenveränderungen beobachten
- Eine sanfte Reinigung und Pflege mit neutralen Produkten durchführen
- bei Verdacht auf Reizungen, Schmerzen oder Druckempfindlichkeit Informationen an Ärzte weitergeben
Die Einbindung der Gynäkologie ermöglicht eine lokale Behandlung mit Estriol- oder Hyaluronsäurepräparaten, wodurch sich die Schleimhaut und das Narbengewebe regenerieren können. Das stärkt die Lebensqualität der Seniorinnen.
Kontinenzförderung & Stuhlmanagement
Harn- und Stuhlinkontinenz sind häufige Langzeitfolgen nach Geburten. Die Seniorinnen diesbezüglich ausschließlich mit Hilfsmitteln zu versorgen, greift zu kurz. Das Ziel sollte sein, Funktion und Selbstständigkeit zu erhalten.
Toilettenprogramm, Trinkrhythmus & Toilettenposition
Zentrale Maßnahmen, um Seniorinnen zu unterstützen, sind:
- Toilettenprogramm: feste Zeiten nach den Mahlzeiten, individuell anpassen
- Trinkrhythmus: 1,5 bis 2 Liter pro Tag (sofern keine Einschränkung vorliegt), gleichmäßig über den Tag verteilt
- Toilettenposition: Füße leicht erhöht, Oberkörper nach vorne, dadurch wird der Beckenboden entlastet
- Ballaststoffreiche Ernährung: gegen Verstopfung und Prolapsdruck
Bei bestehenden Beschwerden kann eine Kontinenzberatung oder Beckenbodentherapie helfen, auch im hohen Alter. Spezialisierte Physiotherapeuten oder Urogynäkologen leiten dabei Übungen an, die im Sitzen oder im Bett liegend durchgeführt werden können.
Beckenboden-Reha im Heim – kleine Übungen, große Wirkung
Viele Seniorinnen glauben, dass es in ihrem Alter „zu spät“ für Beckenbodentraining ist. Doch selbst im Pflegeheim lässt sich der Muskel gezielt aktivieren. Schon kurze, regelmäßig durchgeführte Übungen im Sitzen oder Liegen fördern die Wahrnehmung und Durchblutung und somit auch die Stabilität.
Mit dem 3×3-Minuten-Plan die Beckengesundheit fördern
Ein einfacher Ansatz ist der „3×3-Minuten-Plan“: dreimal täglich für drei Minuten bewusst den Beckenboden anspannen und wieder lösen. Das geht im Sitzen, im Liegen oder auch bei Alltagsaktivitäten wie dem Zähneputzen im Stehen. Wichtig dabei ist, den Atem zu koordinieren und Pressatmung zu vermeiden.
Pflegekräfte können die Seniorinnen motivieren und begleiten und im Nachgang dokumentieren, welche Übungen gut funktionieren. Bei Schmerzen, einer starken Organ-Senkung oder einer Herzinsuffizienz gelten entsprechende Kontraindikationen. In diesen Fällen sollte vorher Rücksprache mit Physiotherapeuten oder Ärzten erfolgen.
Pessar als Option bei Senkungen
Ein Pessar kann bei einem Prolaps mit Beschwerden die Lebensqualität der Seniorinnen deutlich verbessern, ohne dass eine Operation nötig ist. Es stützt die Beckenorgane und lindert Druckgefühl oder Harndrang.
Für den Pflegealltag bedeutet das:
- Abstimmung mit dem behandelnden Arzt bei Neueinstellung oder Kontrolle des Pessars
- Regelmäßige Inspektion: Auf Hautirritationen, Ausfluss und Druckstellen prüfen
- Kontrollintervalle: Je nach Pessar-Typ alle 6 Wochen bis 3 Monate
- Dokumentation: Sitz, Verträglichkeit und eventuelle Beschwerden festhalten
Pflegekräfte sollten außerdem auf eine ausreichende Intimhygiene und Feuchtigkeitsbalance achten. Bei vaginaler Atrophie sollte eine begleitende lokale Hormon- oder Feuchtigkeitstherapie erfolgen.
Dokumentation & Kommunikation
Eine strukturierte Weitergabe von Beobachtungen verhindert Missverständnisse. Das SBAR-Prinzip (Situation, Background, Assessment, Recommendation) hat sich bewährt, um Missverständnisse zu vermeiden. So kann die Kommunikation nach dem SBAR-Prinzip aussehen:
| Situation | „Bewohnerin klagt über ziehenden Schmerz im Unterleib, kein Fieber, auffälliger Urin, Druckgefühl.“ |
| Background | „Drei Geburten, die letzte vor 45 Jahren, bekannte Senkung, keine akute Infektion.“ |
| Assessment | „Verdacht auf Prolapsverschlechterung, keine Infektzeichen.“ |
| Recommendation | „Empfehle gynäkologische Kontrolle und gegebenenfalls Pessarprüfung.“ |
Wichtig ist außerdem den Verlauf und die Vitalwerte festzuhalten. Pflegedienstleitung und Pflegekräfte sollten bei jeder Neuaufnahme prüfen, ob postpartale Langzeitfolgen bei der Seniorin dokumentiert sind, denn das erleichtert spätere Entscheidungen und die Zusammenarbeit mit den Ärzten.
Angehörigenarbeit & Einwilligung
Gerade bei Seniorinnen, die an Demenz erkrankt sind, kann die Kommunikation rund um das Thema Intimbeschwerden herausfordernd sein. Umso wichtiger ist es, behutsam und schamfrei zu kommunizieren.
Gesprächsleitfaden für die Pflege:
Mit einem Gesprächsleitfaden bekommen Pflegekräfte eine Anleitung an die Hand, wie sich ein solches Gespräch starten lässt:
- Neutral beginnen und nachfragen: „Wie geht es beim Toilettengang?“ statt „Sind Sie inkontinent?“
- Verständnis signalisieren, dass viele Frauen nach Geburten Veränderungen spüren und das nichts Ungewöhnliches ist.
- Bei eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit: Betreuung oder bevollmächtigte Angehörige einbeziehen und das Einverständnis dokumentieren.
Fazit: Geburtsfolgen gehören für viele Frauen zur Lebensgeschichte
Postpartale Langzeitfolgen im Alter sind ein wichtiges Thema, wenn es um die Versorgung von Seniorinnen geht. Schließlich kommen Beschwerden häufig vor und können die Lebensqualität stark einschränken, darunter Beckenbodenschwäche, Prolaps, Inkontinenz oder Narbenschmerzen. Sie müssen nicht als „normal“ hingenommen werden, sondern lassen sich angehen.
Pflegekräfte, Pflegedienstleitung, Qualitätsmanagement und Ärzte können gemeinsam dafür sorgen, dass diese Themen endlich systematisch erfasst und behandelt werden. Mit einem strukturierten Aufnahme-Assessment, klaren Beobachtungs- sowie Dokumentationswegen und einer guten Kooperation mit Ärzten und Physiotherapie lassen sich postpartale Langzeitfolgen adressieren und die Lebensqualität der betroffenen Frauen verbessern.
FAQ: Postpartale Langzeitfolgen
Rund um das Thema postpartale Langzeitfolgen gibt es zahlreiche Fragen:
Welche Langzeitfolgen einer Geburt zeigen sich erst im Alter?
Senkungen, Inkontinenz, Narbenschmerzen oder eine Beckenbodenschwäche treten oft Jahrzehnte nach der Geburt auf.
Wie erkennt die Pflege einen Prolaps oder die Folgen von Geburtsverletzungen?
Hinweise liefern Aussagen über ein Druckgefühl sowie vorhandene Stuhl- und Harninkontinenz.
Können Damm- oder Kaiserschnittnarben im Alter schmerzen?
Ja, durch Elastizitätsverlust der Haut oder Verklebungen der Faszien ist das möglich. Hautpflege und lokale Östrogene helfen und auch Physiotherapie kann ihren Beitrag leisten.
Was hilft bei Harn- oder Stuhlinkontinenz im Alter?
Toilettenrhythmus, Trinkplan, ballaststoffreiche Ernährung und Beckenbodentherapie.
Welche Übungen eignen sich im Sitzen oder Liegen?
Sanftes Anspannen beim Ausatmen und ein Anheben des Beckens ebenso wie ein bewusstes Anspannen.
Wann ist ein Pessar sinnvoll und wer kontrolliert es?
Bei Organsenkungen ist es eine Alternative zur OP. Die Kontrolle erfolgt alle 6 Wochen bis 3 Monate durch den Gynäkologen.
Wie können Sexualität und Scham sensibel angesprochen werden?
Ruhig, respektvoll, in neutraler Sprache und ohne Wertung Fragen stellen. Bei Demenz: Beobachten und Veränderungen dokumentieren.
Welche Infos brauchen die die Hausarzt- oder Urogynäkologie-Praxis (SBAR)?
Kurzbericht zu Situation, Vorgeschichte, Beobachtung und Empfehlung, am besten klar und strukturiert nach dem SBAR-Prinzip.
Quellen
- Robert Koch-Institut. (2023, 20. September). Gesundheitliche Lage älterer und hochaltriger Menschen in Deutschland: Ergebnisse der Studie Gesundheit 65+ – Journal of Health Monitoring, 8(3), S.32. https://www.rki.de/DE/Aktuelles/Publikationen/Journal-of-Health Monitoring/GBEDownloadsJ/JHealthMonit_2023_03_Gesundheit_Aeltere.pdf
- Bundesministerium für Gesundheit. (n.d.). Blasenschwäche (Harninkontinenz) im Alter. Gesund Bund. https://gesund.bund.de/inkontinenz-und-blasenschwaeche#formen-und-ursachen
- Bundesministerium für Gesundheit. (n.d.). Pflege: Menschen mit Demenz. Gesund Bund. https://gesund.bund.de/pflege-menschen-mit-demenz
- Bundesministerium für Gesundheit. (n.d.). Scheiden- und Gebärmuttersenkung. Gesund Bund. https://gesund.bund.de/scheidensenkung-gebaermuttersenkung